Der vorliegende Kurs „Open Educational Resources im Geschichtsunterricht“ wurde an der Universität Augsburg entwickelt und seit dem Sommersemester 2017 mehrmalig in Tandemlehre durchgeführt. Dabei wurden Erfahrungen aus den Durchführungen von den Dozierenden kritisch reflektiert und im Kurskonzept berücksichtigt. Auf diese Weise wurde der Kurs fortwährend weiterentwickelt, bis er seine hier vorgestellte Gestalt erhielt. Dabei wurde die Durchführung der Lehrveranstaltung auch mehrfach von den jeweiligen Kursteilnehmer:innen mündlich in einem offenen Gruppengespräch und schriftlich über einen standardisierten Fragebogen beurteilt. Der Kurs erwies sich hierbei beispielweise als besonders gewinnbringend hinsichtlich Kompetenzzuwachs, Praxisrelevanz und Aktivierung der Studierenden. Darüber hinaus floss ebenso Peer-Feedback, welches durch die Tandemlehre und kollegiale Hospitationen gewonnen werden konnte, in die Optimierung des Konzepts ein.
Die Darstellungen in diesem Studienkurs enthalten bereits alle Anpassungen und beziehen sich auf ein in der Praxis bewährtes Vorgehen, das aber auch weiter ergänzt und an die konkreten Verhältnisse vor Ort angepasst werden kann. So hat es sich z. B. durchaus bewährt, inhaltlich zusammenhängende Sitzungen als Blockveranstaltung anzubieten. Dadurch wurden u. a. zeitliche Freiräume geschaffen, die einer vertieften Diskussion zugutekamen. Auch wurden die eher theoretisch ausgerichteten, großteils als Dozierendenvorträge geplanten Bausteine 1 und 2 zunehmend mit Arbeits-, Übungs- und Diskussionsphasen ergänzt. Nichtsdestotrotz gestaltete sich der Kursplan zeitlich insgesamt als straff. Verwiesen wird deshalb auf eine ggf. zu ergänzende Übung bzw. einzelne Übungssitzungen. Darüber hinaus ist es möglich, Geschichtslehrkräfte aus der Praxis oder z. B. auch OER-Anbieter:innen zu einzelnen Sitzungen einzuladen, um deren Perspektiven noch stärker in den Fokus zu nehmen.
Was sicher auffällt: Dem Kurskonzept liegt einerseits der Gedanke zu Grunde, dass OER eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, mit Heterogenität im Klassenzimmer professionell umzugehen, während der Kurs andererseits nur am Rande darauf eingeht, wie Lehr-Lernmittel auf der inhaltlich-methodischen Ebene binnendifferenziert gestaltet sein müssen. Nichtsdestotrotz tragen einige der etablierten und viel diskutierten Gütekriterien guten Geschichtsunterrichts, die im Rahmen des Kurses auf gute, offen lizenzierte Lehrmittel angewendet werden, bereits den Heterogenitätsaspekt
i. w. S. in sich.
Nicht zuletzt kann die vorgestellte Kurskonzeption auch erste Ansätze für ein begleitendes empirisches Forschungsdesign liefern. Dabei stehen folgende Fragestellungen im Zentrum der Betrachtung:
Welche Vorstellungen haben angehende Geschichtslehrkräfte von qualitativ hochwertigen Lehr-Lernmitteln? Und wie verändern sich diese Vorstellungen während des Studiums?
Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, richtet sich das Lehrkonzept vordergründig an Lehramtsstudierende, die sich zu Beginn ihres Studiums bzw. in den ersten beiden Semestern befinden. Diese Zielgruppe ist für die empirische Begleitforschung von besonderem Interesse, da die Vermutung naheliegt, dass die Studierenden hier größtenteils noch von Vorstellungen guten Unterrichts aus ihrer Schülerzeit geprägt sind. Ansätze der Forschung, welche ggf. in einführenden Vorlesungen schon zur Sprache gekommen sind, dürften allenfalls rudimentär von ihnen verinnerlicht worden sein.
Eine genauere Betrachtung der Ergebnisse des Portfoliosegments 1 aus der mehrmaligen Durchführung dieses Kurses hat diese Annahme weitgehend bestätigt, wenn auch ein dezidiert empirischer Beleg noch aussteht. Die Studienanfänger:innen bewerteten die ausgewählten OER überwiegend nach technischen und praktischen Kriterien. Häufig wurde von ihnen dabei auf die äußere Gestalt der angebotenen OER verwiesen (z. B. Schriftgröße, Orthographie, Aufbau, Übersichtlichkeit, Struktur etc.) oder auf praktische Überlegungen (z. B. verbundener Zeitaufwand, veränderbares Dateiformat, vorhandene Hefteinträge), während pädagogische bzw. allgemeindidaktische Gütekriterien deutlich weniger genannt wurden. Durch weitere Beobachtung der Dozierenden während der Bausteine 2 und 3 wurde des Weiteren deutlich, dass ein tieferes Verständnis für die Relevanz allgemeindidaktischer Bewertungsmaßstäbe in Theorie und Praxis kaum vorliegt. In Bezug auf das im Reihenvorwort erläuterte und unter den Gestaltungsmerkmalen aufgegriffene Modell von Baumert und Kunter kann somit gesagt werden, dass die Studierenden am Kursbeginn erst in Ansätzen über pädagogisches Professionswissen verfügen. Gerade in Bezug auf die OER-Qualitätsdebatte ist dieser Befund von besonderem Interesse, denn hier wird – wie in Kapitel 3 dargestellt – in vergleichbarer Weise größtenteils von der sog. OER-Community praktisch-technisch argumentiert, während pädagogische und inhaltliche Bewertungsmaßstäbe weitgehend außen vor bleiben.
Für fachdidaktische bzw. fachspezifische Merkmale guten Unterrichts und guter Lehr-Lernmittel ergaben die Testungen in den Kursen ein noch deutlicheres Bild. Im Rahmen des Portfoliosegments 1 wurden von den Teilnehmer:innen für den Geschichtsunterricht relevante geschichtsdidaktische Gütekriterien noch seltener als pädagogische benannt. Wurden welche genannt (z. B. Arbeit mit Quellen, mit Zeitzeugen; Einbindung historischer Lernorte), konnten die Kursteilnehmer*innen ihr Vorhandensein in den OER zwar als positiv einstufen, aber kaum begründen, worin sie das Positive sehen. Auch erfolgte die Beurteilung der OER größtenteils nur oberflächlich. So beurteilten sie die Arbeit mit Karikaturen z. B. grundsätzlich als positiv, ob im konkreten Lehr-Lernmittel die Arbeit mit der Karikatur jedoch inhaltlich, methodisch und didaktisch sinnvoll war, wurde nicht näher thematisiert. In diesem Zusammenhang sind Parallelen zur aktuellen OER-Qualitätsdebatte zu ziehen. Fachspezifische Gütekriterien werden hier – soweit ersichtlich – kaum in den Fokus genommen.
Vergleicht man die Befunde des Kursbeginns (Portfoliosegment 1) mit den Ergebnissen des Portfoliosegments 4 und mit den mündlichen Rückmeldungen der Studierenden in Baustein 5, lässt sich folgendes erstes Resümee ziehen.
- Die Studierenden nehmen ihren eigenen Kompetenzzuwachs als solchen wahr. Sie geben an, dass sie zu Beginn des Seminars die offenen Lehr-Lernmittel vorwiegend auf technische und praktische Verwendbarkeit bzw. allgemein recht oberflächlich geprüft haben, am Seminarende sie aber pädagogische und vor allem geschichtsdidaktischen Gütekriterien ins Zentrum rückten.
- Die konkrete Arbeit mit dem „Augsburger Analyse- und Evaluationsraster für analoge und digitale Bildungsmedien“ hat ihnen geholfen, wichtige Prinzipien guten Unterrichts besser zu verstehen. Als hilfreich empfanden sie dabei, dass auch das bestehende AAER auf konkrete OER angewendet wurde.
- Ferner gaben die Kursteilnehmer:innen an, dass die weitgehend selbstständige Ausformulierung einer geschichtsdidaktischen Ergänzung des AAER ihnen ein tieferes Verständnis für geschichtsdidaktische (Unterrichts-)Prinzipien und ihre Relevanz im Unterricht verschafft hat.
Auf dieser Basis ist angedacht, auch unter Studierenden höherer Semester eine Evaluation von OER zunächst ohne Raster, dann mit dem AAER und seiner geschichtsdidaktischen Ergänzung durchzuführen. Dabei wäre es wünschenswert, Erfahrungen an anderen Hochschulstandorten mit einbeziehen zu können.