Der Studienkurs auf einen Blick

Im Folgenden werden zunächst „ Perspektivische Positionierungen in Bezug auf Religion, Religionsunterricht, Religionsdidaktik, Philosophie und Forschungsmethoden vorgenommen. Danach erfolgen Informationen zu„ konfiguriertem Wissen und „ grundlegenden und ausdifferenzierten Kompetenzen, welche die Studierenden im Kurs erwerben sollen. Die „ Kurzbeschreibung des Kursangebots bietet eine knappe Einführung in die Themen und der tabellarische „ Kurzüberblick rundet das Kapitel ab.

Perspektivische Positionierungen: Kann Religion in der Schule ein sinnvoller Gegenstand sein?

Religion ist absurd, freie Erfindung, vielleicht sogar Lüge! Wer diese Prämisse teilt, stellt meist auch schulischen Religionsunterricht und damit auch Fachdidaktik Religion in Frage. Deshalb sind zu Beginn unsere Positionen zu kennzeichnen, die in Kapitel 3 ausführlicher begründet werden.

Religion in der Schule?

Problematisch ist, dass es mehrere hundert Definitionsversuche von Religion gibt, und eine Einigung auf ein gemeinsames Verständnis nicht möglich ist (vgl. Kropač 2019, 57), weshalb wir auf der Basis von drei grundlegenden Aspekten unser Verständnis von Religion vorstellen:

Religion ist lebensförderliche (funktionale), subjektiv stimmige (subjektive) Weltdeutung oder Sinngebung durch Transzendenzbezug (substantiell).

Angesichts religionsbezogener demokratie- und menschenfeindlicher Tendenzen in der Gesellschaft muss Religion in einer spätmodernen Gesellschaft immer im Plural unter drei Beobachtungsperspektiven in den Blick kommen: Die Perspektiven

  1. der eigenen, konfessionellen und heterogenen Ausprägung von Religion,
  2. der Begegnung mit anderen, fremden Religionen sowie Weltanschauungen und deren Geltungsansprüchen,
  3. auf Religion in einem selbst nicht-religiös oder weltanschaulich gefärbten Sinnkontext.

Fachwissenschaft Philosophie und Theologie

Philosophie dient – im Anschluss an Hans-Georg Gadamer – der dialogischen Horizonterweiterung auch beim Reflektieren eigener Erfahrungen des Lebens. Zudem verhilft sie der durch Vernunftgebrauch allgemeingültig beschreibbaren Vertiefung von Verstehen, Verständnis und Verständigung (Manfred Negele). In dieser Fachwissenschaft beschäftigt man sich mit den Grundfragen des Menschen und seiner Stellung in der Welt. Solche Fragen begegnen im Alltag, aber ebenso in jeder wissenschaftlichen Disziplin: z. B. Was ist der Sinn des Lebens, des Unterrichts? Gibt es objektive Erkenntnis? Wo sind die Grenzen menschlichen Wissens?

So verstandene Philosophie ist die Grundlage der Theologie als Wissenschaft, die nicht durch spezielle materiale Gegenstände bestimmt ist, weil sie alle Gegenstände unter der Rationalität Gottes (lat. sub ratione Dei) erforscht.

Fachdidaktik Religion

Fachdidaktik Religion oder Religionsdidaktik beschäftigt sich mit religiösem Lehren und Lernen, deren Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen im Religionsunterricht. Religionsdidaktik hat zwei Aufgaben: Zeichen und symbolische Ausdrucksgestalten des Lebens und Glaubens deuten sowie neue Symbolisierungen des erhofften Lebens und Glaubens begründet und entschieden anregen bzw. nicht anregen (Riegger 2019a).

Bildungstheoretische Begründung schulischen Religionsunterrichts

Der religiöse Modus der Weltbegegnung ist auch im schulischen Kontext bei Begegnungen und Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen der Weltdeutung und Sinnfindung (Religion, Ethik, Philosophie) notwendig, wobei zwischen Wissen und Nichtwissbarem, zwischen religiösen Inhalten und Subjekten das unmittelbar Nicht-Vermittelbare zu ver-mitteln ist.

Erkenntnistheoretische Grundlegung philosophischen und religiösen bzw. theologischen Denkens und Sprechens

Das gesamte Unternehmen Religion muss vor dem Forum der Vernunft und auf der Grundlage sinnlicher Erkenntnis ausweisbar sein. Deshalb hat sich jede religiöse Rede zu fragen:

Argumentieren Sie noch mit Bezug auf Konzepte bzw. Vorstellungen von Wirklichkeiten – oder behaupten Sie schon Fiktionen bzw. Lügen?

Wesentlich ist ein Wille zum Bedeutungs- und Perspektivenreichtum sowie grundsätzlich zu Ambiguitätstoleranz,
d. h. der Fähigkeit, Uneindeutigkeiten auszuhalten.

Forschungsmethoden des Verstehens von Unterrichtsinhalten

Folgende drei Forschungsmethoden des Verstehens sind für uns zentral:

  1. Innerhalb der philosophischen Hermeneutik entwickelt sich das Verstehen eines Textes oder eines Unterrichtsinhalts durch das Entwerfen eines Vorverständnisses des Textes bzw. Unterrichtsinhalts, das bei der weiteren Beschäftigung mit dem Text oder dem Unterrichtsinhalt korrigiert wird. Zum Unterrichtsinhalt ist das Vorverständnis der Lehrenden bzw. Lernenden in Relation zu setzen. Daraus folgt ein erweitertes Verstehen der Menschen selbst, der Welt sowie – theologisch gedacht – Gottes und nicht lediglich eine Informationsanhäufung
    (vgl. Negele 2019).
  2. Mit historisch-kritischen Methoden (u. a. Text-, Literar- und Formkritik sowie Traditions-, und Redaktions-
    geschichte) wird der Sinn biblischer Texte und der Christentumsgeschichte rekonstruiert. Wenn wir besser verstehen, was der Text in seiner Zeit sagen wollte und was der Unterrichtsinhalt von sich aus sagen will, können wir uns die Frage stellen, was das für unsere Zeit und uns bedeuten könnte (zusammenfassend: Riegger 2019, 96f.).
  3. Die symbolisch-kritische Methode basiert auf Immanuel Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘. Dementsprechend finden Menschen allgemeine Maßstäbe aus einem allgemeinen Standpunkt, den sie nur dadurch bestimmen können, dass sie sich in den Standpunkt anderer versetzen und so über ihr eigenes Urteil reflektieren. Die ‚In-Beziehung-Setzung‘ der konkreten Situation (z. B. Praxis und Theorie der Praktiker:innen) mit dem abstrakt Allgemeinen (Theorie und Praxis der Theoretiker:innen) erfolgt indirekt, d. h. symbolisch. Die kritische Aufgabe erfolgt zweifach: Einmal geht es um die kritische Reflexion der Beziehungen, die zwischen dem praktischen Symbolzusammenhang und dem wissenschaftlichen Symbolzusammenhang sowie den zugrundeliegenden Interessen und Intentionen bestehen. Zum anderen geht es um ein Praktisch-Werden solcher Handlungsgestalten und Handlungsformen, die geeignet sind, selbst Symbol immer besser gelingender Praxis zu werden, und zwar sowohl in der schulischen wie in der universitären Praxis (Riegger 2019, 47).

Kompetenzen

Einer fragmentierten Lehrkräftebildung arbeiten wir grundlegend entgegen mit konfiguriertem Wissen, grundlegenden Kompetenzen, die Möglichkeiten der Kohärenz schaffen und die Wahrnehmung derselben unterstützen (vgl. Joos u. a. 2019). Daran anknüpfend stellen wir veranstaltungsbezogene einzelne Kompetenzen dar.

Konfigurierter Wissensaufbau zur Theorie-Praxis-Vernetzung

Arbeitsanregung
Sicher konfigurierten Sie schon mal etwas (für sich), z. B. mit einer App einen Avatar, indem Sie die angebotenen Elemente für Sie passend zusammenstellten, z. B. Haarlänge, -farbe usw.

Schreiben Sie – vor diesem Hintergrund – auf, was konfiguriertes Wissen in der Lehrkräftebildung bedeuten könnte.

Konfiguriertes Wissen ist gestaltetes, ausgestaltetes, angepasstes Wissen. Wer ein neues Auto kaufen möchte, verbleibt auch nicht bei den theoretischen Möglichkeiten, sondern stellt aus dem Angebot ein für sich passendes Auto zusammen. In der Lehrkräftebildung bezeichnet man ein solches Wissen auch als konzeptionelles Wissen, d. h. ein vielfach vernetztes verbalisiertes, aber auch implizites Begriffswissen. Vereinfachend kann dies auf drei Ebenen erfolgen, der Oberflächen, Tiefen- und Handlungsebene (vgl. Hattie 2019, 61, für die Religionspädagogik adaptiert und erweitert durch: Riegger 2019, 115-120). An der Universität lernt man i. d. R. zunächst Oberflächenwissen als fachrelevantes Faktenwissen, zuweilen auch Tiefenwissen als zusammenhängendes Faktenwissen und Handlungswissen im Zusammenhang mit Praktika, Simulationen usw. Jede Ebene kann zweifach unterschieden werden in Bezug auf die Wissensform und die Wissensart. Die in Tabelle 1 angegebenen Beispiele und Operatoren verdeutlichen das Dargestellte.

Tab. 1:  Konfiguriertes und konzeptionelles Wissen

Ebenen Wissensformen Wissensinhalte Beispiele Operatoren,
z. B.
Handlungs-
ebene:
Handlungs-
wissen
f)  eigenes
Lebenswissen, Expertenwissen
meta-kognitives Wissen, d. h. Wissen über eigene Kognition implizite
Lebenserfahrungen
erleben
e) Wissen in Uni-Praxis, ggf. UR-Simulation prozedurales (implizites, d. h. auch nicht­verbales) Wissen Erfahrungs-
austausch
erfahren
Tiefenebene:
zusammen-
hängen­des Wissen z. B.
für Schule
d) erweitert
abstrakt
Ideen erweitern,
z. B. fallbezogenes
UR-Beispiel
Memoriertechniken
(z. B. 10 Finger)
z. B. erläutern
c)  relational Ideen verknüpfen,
z. B. kontextbezogene UR-Methode
nicht anderer Satz am Ende wie im Spiel Flüsterpost veranschau-lichen
Oberflächen-
ebene:
fachrelevantes Faktenwissen
b) multi-strukturell mehrere Ideen mündlich geprägte
Gesellschaft
Fakten
erklären
a) uni-strukturell eine Idee Überlieferungsphasen
im AT
benennen

Grundlegende Kompetenzen zur Kohärenzgestaltung und -wahrnehmung

Besonders wichtig ist Kohärenz des Wissens, d. h. der abgestimmte Zusammenhang von fachwissenschaftlichem, fachdidaktischem und bildungswissenschaftlichem Wissen einerseits mit professionalisierungsspezifischen Bildungsprozessen andererseits. Kohärentes Wissen wird systematisch aufgebaut durch Anknüpfen, Wiederholen und Vertiefen. Dabei können grundlegende Kompetenzen einen „roten Faden“ bieten, um nachhaltige und thematische Bezüge aufzuzeigen. Hergestellt werden können hier innere Verbindungen, gemeinsame Perspektiven und analoge, mitlaufende Fragestellungen als horizontale Kohärenz v. a. zwischen Fachdidaktik und Fachwissenschaft, aber auch zu den Bildungswissenschaften und zwischen Theorie(n) und schulischer Praxis für den Zeitraum eines Semesters zu allen Themen dieses Kurses. Die vertikale Kohärenz erstreckt sich über den Studienverlauf und dient einer Vernetzung von fachlichem Wissen und Handlungswissen.

Konkret geht es um die Diagnose und Bearbeitung heterogener religionsbezogener Präkonzepte (Vorwissen und leitende Gesichtspunkte, welche die Wahrnehmung und Erkenntnis strukturieren) und Vorurteile als Grund von Unterrichtsstörungen bzw. -irritationen. Außerdem geht es um die Vernetzung fachwissenschaftlicher und religionsdidaktischer Theorie sowie unterrichtlicher Praxis im Blick auf die Entfaltung, Reflexion und konzeptionelle Schärfung von Unterrichtskompetenzen durch gemeinsames und wechselseitiges Lernen zwischen Lehramtsstudierenden und Expertenlehrkräften bzw. simulierten Lernenden. Drei grundlegende Dimensionen werden bearbeitet:

Präkonzepte der Studierenden und einzelner Lernender mit Unterrichtsinhalten in Verbindung bringen. Dies geschieht in Anknüpfung an und in Weiterentwicklung bzw. Überwindung unangemessener, unterkomplexer Präkonzepte zu kognitiv immer breiter verstehbaren, fachlichen Konzepten (individueller Fortschritt).

Verständigung innerhalb der universitären und der schulischen Lerngruppe über unterschiedliche Präkonzepte und Konzepte (Vergleich zu anderen Lernenden).

Kriterienbezogene Beurteilung des fachwissenschaftlich-fachdidaktischen Niveaus: Kriterien sind ausgearbeitete Subkonzepte (z. B. Wunderverständnis) von übergreifenden Konzepten (z. B. Jesus Christus), die fachwissenschaftlich (z. B. exegetische und philosophische Wunderverständnisse) und religionsdidaktisch (z. B. Stile der Entwicklung religiösen Denkens) ausgearbeitet werden.

Diese grundlegenden Kompetenzen lassen sich ausdifferenzieren.

Veranstaltungsbezogene, einzelne Kompetenzen

Die Studierenden

  • erklären Vorurteile ausgehend vom philosophischen Verständnis nach Gadamer und Präkonzepte auf Seiten der Schüler:innen ausgehend vom fachdidaktischen Verständnis.
  • entdecken eigene Vorurteile und Präkonzepte sowie mögliche Vorurteile und Präkonzepte von Dozierenden und Schüler:innen exemplarisch anhand der vier Themen: Leid, Hiob, Jesus Christus und biblische Wundererzählung (am Beispiel der Heilung der gekrümmten Frau).
  • diskutieren exemplarisch Regeln bzw. Handlungsanweisungen, um Disziplinstörungen im Unterricht zu minimieren.
  • planen kurze Unterrichtselemente (ca. 5 bis 10 Minuten) zu den genannten vier Themen, welche Expertenlehrkräfte mehrfach in ihrem Berufsleben unterrichtet haben.
  • simulieren Unterricht aufgrund ihrer eigenen Planungen im (videografierten) Mikrounterricht (ca. 5 bis 10 Minuten) in der Rolle einer Lehrkraft mit vier Simulationsschüler:innen.
  • partizipieren im Mikrounterricht an Schüler:innenrollen, um die Schüler-Perspektive einzunehmen und zu erleben.
  • nehmen einzelne, v. a. religionsbezogene Vorurteile und Präkonzepte und deren Auswirkungen in den Simulationen wahr.
  • entwickeln ein Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit, indem sie in konkreten, als unsicher erlebten, nie ganz planbaren Simulationssituationen ihre eigenen Fähigkeiten erleben und handelnd im Mikrounterricht Regelungen – vielleicht sogar Lösungen – finden.
  • reduzieren unplanbare und unsichere Unterrichtssituationen, die v. a. aufgrund von heterogenen Unterrichtsstörungen bzw. Unterrichtsirritationen durch Schüler:innen entstehen können, mit Hilfe von struktureller Planung des unplanbaren Anteils von Unterricht (z. B. Gottesbilder der Schüler:innen).
  • nehmen fluide Heterogenitätsmerkmale wahr. In der und durch die Simulation reflektieren und bewältigen sie Teilaspekte von Heterogenität.

Damit erwerben die Studierenden Professionswissen (= fachliche Grundlagen des Handelns) und professionalisiertes Wissen (= prozeduralisiertes Handlungswissen für die fortlaufende Interaktion mit den Schüler:inne:n) in folgenden Bereichen:

Pädagogisches bzw. bildungswissenschaftliches Wissen: Prinzipien der Unterrichtsplanung unter Berücksichtigung stark divergierender Voraussetzungen für religiöse Bildung auf Schüler:innenseite; lerngruppenbezogene und individuelle Diagnoseprinzipien zur Unterscheidung von fachunabhängigen Unterrichtsstörungen und fachlich bedingten Unterrichtsirritationen; disziplinfördernde Handlungsregeln für heterogene Unterrichtssituationen.

Fachwissen: Grundlegendes Verständnis der Begriffe Vorurteil, Konzept und Präkonzept; spezifische Konzepte bzw. Subkonzepte von Leid, Hiob, Jesus Christus und biblischen Wundererzählungen; Stolpersteine religiöser Konzepte; fachliche Beurteilungen religiöser Konzepte.

Fachdidaktisches Wissen: Planung, simulative Durchführung und Evaluation heterogenitätssensiblen Religions-
unterrichts; Diagnose und Antizipation entwicklungsbedingter Präkonzepte von Schüler:innen als Auslöser von Unterrichtsirritationen und deren Berücksichtigung in der Planung des Unterrichts; durchgängige Sprachbildung im Bereich Religion, insbesondere Unterscheidung von persönlicher (Nicht-)Glaubenssprache und religiöser Bildungssprache, damit die mögliche Fremdsprache Religion als Beitrag zur Weltdeutung verstehbar wird.

Überzeugungen/Werthaltungen, motivationale Orientierungen und selbstregulative Fähigkeiten: Versteht man unter ‚teacher beliefs‘ „Überzeugungen als implizite oder explizite, subjektiv für wahr gehaltene Konzeptionen, welche die Wahrnehmung der Umwelt und das Handeln beeinflussen“ (Baumert & Kunter 2006, 497), ist eine zweifache Unterscheidung möglich: individueller Richtigkeitsglaube (kognitives Für-wahr-Halten, engl. belief) und existentielles Vertrauen eines jeden Menschen im Leben auf andere/s (engl. faith, lat. fides qua creditur, dt. Lebensglaube). Diese Unterscheidung gilt unabhängig von religiösen Inhalten auf der einen Seite sowie nicht-religiöser Inhalte und spezifisch religiöser Inhalte (engl. beliefs, lat. fides quae creditur) auf der anderen Seite. Die vier Kombinationsmöglichkeiten zeigt Tab. 2.

Tab. 2:  Kombinationsmöglichen von Glaubens-Akten und Glaubens-Inhalten

Nicht-Religiöse Inhalte
(beliefs)
Religiöse Inhalte
Für-wahr-Halten (engl. belief) I II
Lebensglaube (engl. faith) III IV

Relevant sind für uns damit nicht-religiöse beliefs von Lehrpersonen und Studierenden (Quadrant I) ebenso wie religionsbezogene Inhalte (Quadrant II) aber auch der Lebensglaube, der sich im Habitus (Pierre Bourdieu), d. h. in der inneren Haltung (ἕξις/hexis nach Aristoteles) niederschlägt. Diese innere Haltung kommt in Simulationen zum Tragen und durch Simulationen erfolgt Habitus(weiter)bildung auf folgenden Ebenen: wissenschaftlich-reflexiv, pragmatisch-reflexiv, berufsbiografisch und ggf. glaubensbiografisch.

Heterogenitätswissen: Wissenschaftlich Konsens ist, dass Vorkommnisse im Unterricht durch die Wahrnehmung der (angehenden) Lehrkräfte als Unterrichtsstörungen interpretiert werden. Unsere These: Hinter Unterrichtsstörungen steckt subjektiv wahrgenommene, unbearbeitete Heterogenität. Ziel des Lehrkräfteverhaltens ist i. d. R. Homogenität in der Lerngruppe zu erreichen (z. B. alle SuS sollen vorgegebene Kompetenzen erreichen). Weitere Heterogenitätsmerkmale werden in den Simulationen auch praktisch bearbeitbar, z. B. soziale und religiös-kulturelle Herkunft, Geschlecht, auch auf Religion beziehbare fachliche, sprachliche, soziale Fähigkeiten.

Planung, simulative Durchführung und Evaluation heterogenitätssensiblen Religionsunterrichts; Diagnose und Antizipation entwicklungsbedingter Präkonzepte von Schüler:innen als Auslöser von Unterrichtsirritationen und deren Berücksichtigung in der Planung des Unterrichts; durchgängige Sprachbildung im Bereich Religion, insbesondere Unterscheidung von persönlicher (Nicht-)Glaubenssprache und religiöser Bildungssprache, damit die mögliche Fremdsprache Religion als Beitrag zur Weltdeutung verstehbar wird.

Nicht zuletzt erleben und erfahren Studierende Vertrauen in die unterrichtliche Selbstwirksamkeit, durch die möglicherweise als Überforderung wahrgenommene Simulation und deren Reflexion.

Kurzbeschreibung des Kursangebots

Der zweisemesterwochenstündige Studienkurs setzt sich im Grundmodell-Präsenz zusammen aus einer eintägigen Einführungsveranstaltung und vier knapp halbtägigen Sitzungen am späten Nachmittag, damit auch Expertenlehrkräfte aus der Schule mitarbeiten können. In den vier Nachmittags-Sitzungen steht jeweils ein Praxisausschnitt einer Expertenlehrkraft im Zentrum. Dieser Ausschnitt wird fachwissenschaftlich und fachdidaktisch aufbereitet und als Mikrounterricht von einzelnen Studierenden vorbereitet. Anschließend wird die Planung der Studierenden in der Simulation umgesetzt, videografiert und reflektiert. Diese Arbeitsschritte tragen den Anforderungen professionelle Simulationen Rechnung, die im Medienlabor der Philosophisch-Sozialwissen-
schaftlichen Fakultät der Universität Augsburg aufgenommen und über das Videoportal Onlinekurslabor passwortgeschützt jederzeit für die Teilnehmenden zugänglich sind.

Die Veranstaltung kann für alle Lehrämter mit dem Fach Katholische Religionslehre als Teil eines fachwissen-
schaftlichen oder fachdidaktischen Moduls angeboten werden. Gelernt wird in Anknüpfung an und durch Transformation von vorhandenem, teilweise habitualisiertem Wissen der Teilnehmenden.

Formal basiert der Kurs auf situiertem Lernen (vgl. Hartinger, Lohrmann, Rank & Fölling-Albers 2011) in Simulationen an der Universität (Heil, Riegger 2017, Riegger, Heil 2018, Heil, Riegger 2020) in der Arbeit mit dem Habitus (Bourdieu). Simulationen der Praxis sind notwendig, um in einem komplexitätsreduzierten und wirklichkeitsähnlichen Modell von schulischer Praxis Studierenden situationsbezogene Lernumwelten zu eröffnen, welche zur Bildung habituell verankerter Kompetenzen im Bereich religionsbezogener Unterrichtsstörungen bzw. -irritationen wirklichkeitsnah beitragen können.

Foto einer Szene in einem Unterrichtsraum mit grünen Wänden, links ein Flipchart, rechts eine Lerngruppe mit 4 Personen an einem Tisch, dahinter eine Person stehend
Abb. 1: Aufnahmeszene einer Simulation; stehend simuliert eine Studentin die Lehrkraft, ganz rechts simuliert die Expertenlehrerin eine Schülerin

Abb. 1:      Aufnahmeszene einer Simulation; stehend simuliert eine Studentin die Lehrkraft, ganz rechts simuliert die Expertenlehrerin eine Schülerin

Inhaltlich stehen religionsbezogene Unterrichtsstörungen und -irritationen im Zentrum. Damit wird der Umgang mit Unterrichtsstörungen nicht einfach an die Pädagogische Psychologie oder die Pädagogik abgegeben. Vielmehr gehen wir davon aus, dass im Religionsunterricht ein – mehr oder weniger großer Teil – der Unterrichtsstörungen fachliche Ursachen hat. Deshalb simulieren, videografieren und reflektieren wir an der Universität Unterrichtsstörungen und -irritationen aus der schulischen Wirklichkeit des Religionsunterrichts.

Im Studium fällt es Studierenden oft schwer, fachwissenschaftliche und -didaktische Theorien mit handlungs-
orientierenden Theorien und dem Handeln in der Praxis in Beziehung zu bringen.

Auf der Grundlage der Vernunft (Philosophie), welche die Möglichkeit der Existenz Gottes aber nicht ausschließt (negative Theologie), wird in mehreren Sitzungen die Bedeutung von Vorurteilen (Gadamer) und Präkonzepten erarbeitet, um mit Bezug auf wirklichen, schulischen Unterricht vier Fragekomplexe zu bearbeiten: Leid a) in der Ganzschrift „Ich gebe dir noch eine Chance, Gott“ von Gudrun Pausewang sowie b) im biblischen Hiob-Buch; c) der historische Jesus bzw. der geglaubte Christus sowie d) die biblische Heilungserzählung von der gekrümmten Frau (Lukas 13,10-17).

Innovativ ist der Kurs für die Lehrkräftebildung, weil Studierende

inhaltlich Positionierungen und Gesprächsoffenheit gegenüber anderen bei heterogenen religions- und kultur-
sensiblen Themen auszubalancieren lernen.

forschungsmethodisch im Dritt- und Zwischenraum der Simulation ihr Handeln im Sinne des Forschenden Lernens ergründen und mit wissenschaftlichen Theorien in Verbindung bringen.

lehr-lernmethodisch Expertenlehrkräften auf Augenhöhe in der Praxis des simulierten Klassenraums begegnen.

Das Anforderungsprofil für die Hausarbeit

Zieldimension ist die Professionalisierung von Lehrkräften mit dem Fach Religion.

Professionalisierung im Sport erfolgt v. a. über Analysen von Videos sichtbarer Praxis (= professionelle Performanz). Diese Analysen erfolgen mit Hilfe von praktischem Wissen (z. B. Bewegungsabläufe) und theoretischem Wissen (z. B. Anatomie, Ernährung) der/die Trainer:innen (= Expert:innen). Ziel ist die Verbesserung praktischer Handlungen der zu Trainierenden mittels wirksamer Feedbackprozesse. Diese Vorgehensweise übertragen wir auf Bildungsprozesse mit ihren Besonderheiten.

Gefordert ist keine klassische Hausarbeit, für die Literatur recherchiert und zusammengeschrieben wird. Vielmehr verbinden Studierende in ihrer Hausarbeit fachwissenschaftliche und fachdidaktische Theorien, die in diesem Buch knapp zusammengefasst sind, mit Praxistheorien der Expertenlehrkräfte und selbst Erfahrenem aus simulierter und/oder selbst erlebter schulischer Praxis.

Grundlage ist das in diesem Buch erarbeitete fachwissenschaftliche und fachdidaktische Wissen und das in der Hausarbeit explizit zur wissenschaftlichen Reflexion der simulierten Praxis herangezogen wird.

Die Reflexion der Simulation im Rahmen der Professionellen Unterrichtswahrnehmung (engl. professional vision) und wird unterstützt durch die Videoaufzeichnungen (vgl. Baustein 1).