In diesem Kapitel wird zunächst auf den allgemeinen hochschuldidaktischen Ansatz des Studienkurses eingegangen. Anschließend wird das im Kontext von Lehre systematisch kompetenzentwickelnde EKSpo-Modell als fachdidaktische Orientierung vorgestellt und erläutert, bevor konkret der zugrundeliegende BNE-didaktische Ansatz knapp skizziert wird. Die berücksichtigten Dimension der Heterogenität runden die Darstellung der Gestaltungsmerkmale ab.
Allgemeiner hochschuldidaktischer Ansatz: pädagogischer Doppeldecker
Hochschuldidaktik befasst sich mit Fragen der Qualität und Qualitätssteigerung universitärer Lehre und zielt darauf ab, einen wesentlichen Beitrag zur Professionalisierung der akademischen Lehre zu leisten. In diesem Rahmen sollen auf Studierendenseite entsprechende Kompetenzen entwickelt werden, die ein selbstgesteuertes Lernen initiieren, ermöglichen und nachhaltig verankern. Auch wenn in der Literatur voneinander abweichende Kompetenzmodelle diskutiert werden, so orientiert sich der vorliegende Studienkurs – wie bereits oben erläutert – am Modell der professionellen Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006; Baumgartner, 2022). Dieser Logik folgend sollen sich die Studierenden auf der Wissensebene allgemeine bildungswissenschaftliche Grundlagen zum Lehren und Lernen, BNE-spezifisches Fachwissen (zu Nachhaltiger Entwicklung im Fußball), BNE-spezifisches fachdidaktisches Wissen (Ziele, Inhalte und Methoden von BNE im Sport) sowie organisatorisches Wissen zur Umsetzung der entwickelten Konzepte im Rahmen des Whole Institution Approach aneignen. Zudem sollen den Studierenden Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht werden, um die (Weiter-)Entwicklung einer themenspezifischen motivationalen Ausprägung zu unterstützen. Denn mittel- und langfristig ist insbesondere die positive Zugewandtheit und das Engagement der Lehrkraft für Themen der Nachhaltigen Entwicklung im Sport im Sinne einer Vorbildfunktion in ihrer Wirkung kaum zu unterschätzen. Dieses integrierte Kompetenzmodell zielt zentral auf die komplexe professionelle Handlungskompetenz der angehenden Lehrkräfte ab, die sportspezifische Kompetenzen und BNE-spezifische Kompetenzen im didaktischen Handeln zusammenführt (Lohmann et al., 2019).
Um die anzustrebende Kompetenzentwicklung der Studierenden zu unterstützen, kommt in der hier beschriebenen universitären Lehrveranstaltung hochschuldidaktisch der sogenannte pädagogische Doppeldecker zum Einsatz (Wahl & Diethelm, 2001). Lehren und Lernen wird in dieser Denkfigur einerseits in der Seminararbeit zum Inhalt theoretischer Überlegungen und didaktischer Konzeptentwicklung und andererseits wird das eigene Lehren und Lernen unmittelbar auch zum konkreten und praktischen Gegenstand unterrichtlichen Handelns sowie angeleiteter Reflexion des eigenen Handelns im vorgegebenen Projekt. Dieses Vorgehen unterstützt die Kohärenzkonstruktion auf Seiten der Studierenden, indem eine themenbezogene Verknüpfung fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und bildungswissenschaftlicher Wissensbereiche stattfindet und unmittelbar in praktisches Tun überführt wird. Motivationale Aspekte sowie Selbstwirksamkeitserfahrungen können in den Prozess integriert werden. Die dergestalt initiierte Verknüpfung von Professionswissen und didaktischem Handeln wird auf einer weiteren Ebene der Reflexion – durch ein anzufertigendes Lernportfolio – didaktisch unterstützt (Graichen et al., 2019; Nückles et al., 2019).
Kompetenzorientierung im Sport: EKSpo-Modell
Die anvisierte Kompetenzentwicklung auf Seiten der Studierenden folgt dem Grundgedanken des Entwurfs zur Kompetenzorientierung im Sport (EKSpo-Modell) (Sygusch et al., 2022), der im Kern auch der Lernzieltaxonomie nach Bloom folgt (Bloom, 1973; Bloom et al., 1956). Als grundsätzliche Orientierung zum Kompetenzaufbau wird eine Taxonomie in Anschlag gebracht, die Inhalte, Aktivitäten und Anforderungsniveaus beschreibt. In der Aktivitätsdimension werden drei Phasen unterschieden, in denen unterschiedliche Aktivitäten bzw. Lernprozesse stattfinden. In der ersten Phase steht der Wissenserwerb im Vordergrund, die Phase wird unterteilt in (1) Wissen aufnehmen und (2) vernetzen. In der zweiten Phase steht die Nutzung des neu erworbenen und verknüpften Wissens im Fokus, hier geht es darum, Handlungen (3) zu planen, sie (4) umzusetzen und (5) auszuwerten. In der letzten Phase wird durch die Aktivität (6) Innovieren neues Wissen geschaffen (Sygusch et al., 2022). In der folgenden Tabelle werden exemplarische Aktivitäten aus dem Studienkurs in dieser Logik dargestellt.
Aktivität | Beispiele aus dem hier vorgestellten Seminar
Vorbereitung, Durchführung und Reflexion des Fußballtags, Bausteine 2-4 |
|
Wissen erwerben | (1) aufnehmen | Literaturrecherche zu SDGs, Input-Vorträge zu didaktischen Grundlagen der BNE |
(2) vernetzen | Analyse und diskursive Auseinandersetzung mit bestehenden Bildungsmaterialien zu BNE im Sport basierend auf Aspekten der BNE-Didaktik | |
Wissen nutzen | (3) planen | Kontextspezifische Anwendung des Wissens in der Entwicklung von Spielideen, Aktionsformen, Turniermodi für einen Fußballtag an einer Partnerschule |
(4) umsetzen | Durchführung des selbst geplanten Fußballtags an der Partnerschule | |
(5) auswerten | Reflexion der einzelnen Aktionsformen und des Turniers basierend auf BNE-didaktischen Grundlagen | |
Wissen schaffen | (6) innovieren | Formulierung von Verbesserungsvorschlägen zu einzelnen Aktionsformen und zum gesamten Fußballtag im Rahmen des Portfolios |
In der Konzeptualisierung des EKSpo-Modells wird explizit darauf hingewiesen, dass das Modell grundsätzlich auf alle Themen eines kompetenzorientierten Aneignungsprozesses Anwendung finden kann und auch auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus (z. B. Grundschule, Gymnasium, Universität) seine Gültigkeit besitzt.
BNE-didaktischer Ansatz
Im Seminar beschäftigen sich die Studierenden nicht nur inhaltlich mit den didaktischen Grundlagen von BNE, d. h. mit Zielen, Inhalten und Methoden für den Schulsport. Das Seminar selbst ist nach den didaktischen Grundlagen der BNE konzipiert. Das bedeutet, dass die doppelte Komplexität von Nachhaltigkeitsthemen – hier spezifisch im Kontext Fußball – als Ausgangspunkt für Lernprozesse gewählt wird (Ohl, 2013, 2018). Die Studierenden erschließen sich zunächst fachliche Grundlagen zu Nachhaltigen und Nicht-nachhaltigen Entwicklungen im Fußball. Dies tun sie basierend auf vorgegebener Literatur, die um eigene Literaturrecherchen ergänzt wird. Sie beleuchten im Seminar sodann die Relevanz und Implikationen für unterschiedliche Akteure und diskutieren über politische, gesellschaftliche und individuelle Handlungsoptionen. Dazu schlüpfen sie in unterschiedliche Rollen und diskutieren aus vorgegebenen Perspektiven über die Umsetzung der SDGs im (Profi-)Fußball. Schließlich beurteilen sie die aktuelle Situation am konkreten Beispiel eines ausgewählten Profifußballclubs und beziehen in ihre Überlegungen fachliche Grundlagen und Wertmaßstäbe ein. In einer intensiven Diskussion mit dem Nachhaltigkeitsmanager des Profifußballclubs werden sie dazu angeregt, sich unter Einbezug fachlicher und wertbezogener Argumente ein eigenes Urteil zu nachhaltiger Entwicklung im (Profi-)Fußball zu bilden. Damit werden die von Ohl (2018) vorgeschlagenen Schritte zum Umgang mit der doppelten Komplexität von Nachhaltigkeitsthemen insbesondere beim Aufbau von Fachwissen in Baustein 1 des Studienkurses durchlaufen. Bei der Planung und Umsetzung des Seminars wurden dazu explizit die BNE-didaktischen Prinzipien berücksichtigt, die von Lohmann et al. (2021) aus einer systematischen Literaturrecherche extrahiert wurden.
Didaktische Prinzipien für BNE und ihre beispielhafte Anwendung in diesem Seminar |
Partizipation: Studierende setzen eigene Schwerpunkte und bringen sich aktiv in die Organisation und Gestaltung eines Fußballtags an einer Partnerschule ein.
Wertschätzung: Studierende werden im Seminar zum Austausch persönlicher Meinungen, Erfahrungen, Befürchtungen und Emotionen in einer wertschätzenden Atmosphäre angeregt. Multidimensionalität und Mehrperspektivität: Studierende recherchieren zu Nachhaltigkeitsthemen im Fußball und vertreten in Diskussionen dazu spezifische Positionen, dabei berücksichtigen sie sozialwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu sozialen, ökonomischen und ökologischen Chancen und Herausforderungen im Fußball Reale Problemstellungen und Partizipation: Studierende entwickeln selbst Spiel- und Aktionsideen und setzen diese bei einem Fußballtag an einer Partnerschule um Kritisches und systemisches Denken: Studierende setzen sich mit den Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen sozialen und ökonomischen Bedürfnissen und ökologischen Konsequenzen von Entscheidungen und Geschäftspraktiken im (Profi-)Fußball auseinander Unsicherheiten, Dilemmata und Interessenkonflikte als Ausgangspunkt: Im Austausch mit dem Nachhaltigkeitsmanager eines Profifußballclubs werden Interessenkonflikte im Profifußball deutlich, z. B. der Konflikt zwischen Leistungsorientierung, sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz Wertevermittlung: Studierende setzen sich in der Vorbereitung des Fußballtags damit auseinander, welche Werte am Fußballtag vermittelt werden sollen und wie sie Schüler:innen dazu anregen können, eigene und gemeinsame Werte zu reflektieren Kreativität und Innovation: Studierende entwickeln eigene Spiel- und Aktionsideen für BNE am Fußballtag mit der Partnerschule |
Die BNE-spezifische Zielorientierung des Studienkurses ist der Aufbau BNE-spezifischer professioneller Handlungs-
kompetenzen der Studierenden für das Fach Sport (Lohmann et al., 2021). In Anlehnung an das generische Modell der professionellen Kompetenz von Baumert und Kunter (2006) geht es dabei um
- Spezifisches Fachwissen zum Konzept der Nachhaltigen Entwicklung sowie zu konkreten Aspekten der Nachhaltigen Entwicklung im Sport (spezifisch Fußball)
- Spezifisches fachdidaktisches Wissen zum Konzept der BNE sowie zu möglichen Zielen, Inhalten und Methoden von BNE im Schulsport und außerdem um Wissen zur Verankerung von BNE im Bildungsplan und spezifisch zum Beitrag des Schulsports zu einer BNE.
- Allgemeines bildungswissenschaftliches Wissen zum Lehren und Lernen
- Organisatorisches Wissen zur Umsetzung von BNE in einem Whole Institution Approach
- Motivationale Orientierungen (Enthusiasmus) in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen im Sport, d. h. BNE sollte als relevanter Bestandteil für den Schulsport erkannt werden; hier spielt auch die Vorbildfunktion der Lehrkraft in Bezug auf nachhaltiges Verhalten im Kontext Sport eine bedeutende Rolle
- Selbstwirksamkeitserwartungen zur Gestaltung von Schulsport im Sinne einer BNE
Wichtig ist die Entwicklung einer integrierten professionellen Kompetenz der angehenden Lehrkräfte, die fachspezifische, d. h. sportspezifische Kompetenzen und BNE-spezifische Kompetenzen zusammenführt (Lohmann et al., 2019). So scheint es bedeutsam, dass Studierende nicht losgelöst vom Sport Nachhaltigkeitskonzepte kennenlernen, sondern dass Nachhaltigkeitskonzepte im spezifischen Anwendungsbereich des Sports eingeführt und diskutiert werden. In Kapitel 5, in dem der Studienkurs im Detail dargestellt wird, wird dieser BNE-didaktische Bezug ausdifferenziert und anhand konkreter Beispiele erläutert.
Heterogenität
Heterogenität wird vor dem Hintergrund der Zielsetzung der hier beschriebenen Veranstaltung kontextspezifisch adressiert. Beispielsweise gerät der Umgang mit Heterogenität hinsichtlich der Verminderung sozialer Ungleichheiten oder des Anstrebens von Geschlechtergleichheit in den Blick. Konkret wird dieses Anliegen auf unterschiedlichen Ebenen durch sportdidaktische Ideen und Inszenierungen im Rahmen des schulischen Sportfestes (Fußballtag mit dem Motto „Kick it sustainably“) umgesetzt. Bei der Zielgruppe Schüler:innen sind z. B. die Teams klassenstufen- und geschlechterübergreifend zufällig eingeteilt worden, um möglichst Chancengleichheit zu erreichen. Die in der Schülerschaft vorhandene Heterogenität sollte durch den Zufallsparameter gleichmäßig auf die teilnehmenden Teams verteilt werden. Dieses Zufallsprinzip bei der Teameinteilung wurde als ein Aspekt des Umgangs mit Heterogenität explizit besprochen und damit bewusst gemacht. Mit Blick auf inhaltliche Aspekte, die den Teams am Fußballtag „Punkte einbringen” konnten wurden zusätzlich verschiedene Aktionen und Stationen konzipiert, die neben dem eigentlichen Fußballturnier dafür sorgten, dass sich die Schüler:innen auf verschiedene Art und Weise und mit ihren jeweiligen Kompetenzen einbringen konnten.
Bei der Zielgruppe Studierende wurde zum Einstieg im Seminar mit dem Bild eines „BNE-Rucksacks” gearbeitet. Die Studierende haben ihre je eigenen Erfahrungen zu BNE, Nachhaltigkeit, Fußball und praktischen Schulerfahrungen aufgeschrieben und sich darüber in Tandemdiskussionen sowie im Plenum ausgetauscht. Durch dieses Vorgehen wurden sie sich der Heterogenität der eigenen Seminargruppe bewusst – auch wenn dies nicht explizit thematisiert wurde. Im weiteren Verlauf hatten die Studierenden die Möglichkeit, sich hinsichtlich der Planungen des Fußballtags nach ihren Vorlieben und Kompetenzen einzubringen. Dies umfasste zum einen die Auswahl inhaltlicher Schwerpunkte für das Schulprojekt zum anderen aber auch die Nutzung unterschiedlicher (fachlicher, organisatorischer, kommunikativer) Fähigkeiten der Studierenden. Begleitet wurden die Planungen und handlungsorientierten Phasen durch eine theoriegeleitete Auseinandersetzung mit Aspekten von Heterogenität und Vielfalt wie sie in den SDGs beschrieben sind (z. B. Geschlechtergerechtigkeit, Chancengleichheit).